Große Anteilnahme bei der Gedenkveranstaltung zur Pogromnacht von 1938

Vor der ehemaligen Synagoge in der Ahauser Innenstadt

Mehr als hundertdreißig Menschen kamen gestern (9. November) in der Ahauser Innenstadt zusammen, um an den Jahrestag der Pogromnacht von 1938 zu erinnern. Vor der Gedenktafel am Juweliergeschäft Engels, dem ehemaligen Standort der Ahauser Synagoge, begrüßte die stellvertretende Bürgermeisterin Maria Woltering die Anwesenden. „In dieser Zeit, in der die Welt mit vielfältigen Herausforderungen konfrontiert ist, müssen wir uns der Bedeutung von Empathie, Solidarität und Toleranz bewusst sein“, so Maria Woltering. Sie betonte weiter: „In unserer Gesellschaft darf es keinen Platz für Hass, Intoleranz und Diskriminierung geben. Wir müssen uns entschieden gegen jegliche Form von Extremismus stellen und für eine offene, inklusive Welt eintreten, in der jeder Mensch, unabhängig von seiner Herkunft oder seinem Glauben, in Frieden und Würde leben kann.“

Die Schülerinnen und Schüler der Ahauser Anne-Frank-Realschule hatten unter der Leitung ihres Lehrers Holger Laumeier einen Redebeitrag vorbereitet. In Briefform richteten sie sich an Thea Schlösser, die einzige Überlebende der beiden jüdischen Familien Schlösser aus Ahaus. Sie konnte 1939 mit einem Kindertransport nach England fliehen und später nach Amerika übersiedeln. Abschließend gedachten die Schülerinnen und Schüler der Ahauser Juden, die in Konzentrationslager und Ghettos deportiert und ermordet wurden.

Die Arbeitsgruppe “Ahauser Geschichte 1933-1945” des aktuellen Forums Volkshochschule schilderte die persönlichen Erlebnisse und Erfahrungen des jüdischen Viehhändlers Erich Gottschalk. Er wurde von SA-Männern körperlich misshandelt und litt seitdem unter lebenslangen gesundheitlichen Einschränkungen. Der Arbeitskreis gedachte auch der aktuellen Opfer von Terror und Gewalt, insbesondere der jüdischen Kinder, Frauen und Männer in Israel, die von der terroristischen Hamas Grausamkeiten erfahren haben. Für sie, ihre Angehörigen und alle in Deutschland angefeindeten Juden sowie für alle unschuldig vom Krieg Heimgesuchten hielt der Arbeitskreis gemeinsam mit allen Teilnehmerinnen und Teilnehmern eine Schweigeminute.

Das Berufskolleg Canisiusstift lud dazu ein, ein gemeinsames Zeichen für eine vielfältige, bunte und friedliche Gesellschaft zu setzen, indem die Anwesenden einen bunten Fingerabdruck mittels Farbe auf eine Leinwand setzen konnte. „Nur noch wenige Menschen haben eigene Erinnerungen an diese Nacht“, so Inga Lümmen, Lehrerin des Berufskolleg Canisiusstift. Deshalb sei es die Aufgabe demokratischer Länder wie Deutschland, Vorreiter zu sein für ein gelingendes Zusammenleben verschiedener Kulturen, für die gegenseitige Akzeptanz unterschiedlicher Religionen, für Menschlichkeit und die Freiheit auf ein selbstbestimmtes Leben, denn nur so gebe es Hoffnung für die Welt.

Die Gedenkfeier wurde musikalisch vom Schulorchester der Anne-Frank-Realschule unter der Leitung von Dr. Annegret Heemann begleitet.

In der schicksalhaften Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 fielen im gesamten Deutschen Reich Synagogen Brandanschlägen zum Opfer. Jüdische Wohnstätten und Geschäfte wurden zerstört, ihre Inhaber misshandelt und in Konzentrationslager verschleppt. Auch in Ahaus erlebten jüdische Bürgerinnen und Bürger diese Gräueltaten, auch Ahauser Bürgerinnen und Bürger waren unter den Tätern dieser Nacht. Und es waren nicht ausschließlich jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger, die unter den Nationalsozialisten litten: Deutschlandweit fielen Sinti und Roma, Zeugen Jehovas, Menschen mit Behinderungen, Priester, Personen des Widerstands und viele weitere dem Regime zum Opfer.